Tracey Thorn - Love and opposite
 
Verändert hat Tracey Thorn sich eigentlich nicht. Noch immer hat sie das Gesicht einer uneitlen Engländerin ohne Falten, noch immer hat sie die Kurzhaar-Frisur, die sie auch in den 80er Jahren bei Everything but the Girl trug und noch immer scheint ihre Stimme irgendwie alterslos zu sein. Doch auch in ihrem Leben und ihrem Lebensumfeld hat sich viel verändert, über das sie aus der Mitte des Lebens erzählen möchte. Familie und Freunde lassen sich scheiden, fangen wieder von vorne an, leben allein, hängen in Singlebars herum, ärgern sich mit der heranwachsenden Generation herum oder beschwören wie in „Kentish Town“ den Geist einer Familie. Zusammen mit ihrem Partner Ben Watt, mit dem sie auch nach 18 Jahren noch immer zusammen zu sein scheint, hat sie seit 2001 drei Kinder in die Welt gesetzt, die sie jahrelang nicht einen Song haben schreiben lassen. Erst 2007, nach knapp zehnjähriger Pause meldete sie sich mit einem Album und zwei Singles „Grand Canyon“ und dem Pet Shop Boys Cover „Kings Cross“ zurück. Heute, 2010 erzählt Tracey Thorn wie das Leben um sie herum läuft. 
„Oh, the Divorces!“ heißt gleich das erste, nur mit Pianobegleitung gesungene und zutiefst intensive Stück. Immer wieder fragt sie „Who´s next“ und es klingt moralisch und melancholisch zugleich. Das Piano und die ruhigen Töne stehen nach ihren unzähligen Ausflügen in die elektronische Musik mit Massive Attack und ihrem Nummer 1 Hit „Missing“ im House Stil im Mittelpunkt. Es ist die Tracey Thorn, die ich immer am liebsten mochte, eine Frau, die mit ihrer unterkühlten doch intensiven Stimme fantastische Melodien singt und schreibt. Ihr neues Album, teils in Berlin, teils in London aufgenommen und von Ewan Pearson (Delphic, The Rapture) produziert, beschränkt sich vor allem auf die ruhige unexperimentelle Seite. Nur selten verlässt sie die Pianostimmung in Richtung Pop und Mid-Tempo mit Gitarre und Bass, gespielt von Al Doyle von Hot Chip. Geradezu sakral wird es, wenn Tracey Thorn Lee Hazelwoods „Come on home to me“ covert. Es ist ein Duett mit dem schwedischen Songschreiber und Sänger Jens Lekman, der Tracey Thorns Stimme noch weiter in die Tiefe treibt. 
„Love and ist opposite“ ist eine Platte, die einen packen kann, die im wahrsten Sinne des Wortes Musik für Erwachsene ist, die irgendwie an den Charts vorbeigehen wird, die aber für jeden, der sich wie ich einst in Everything but the Girl verliebte, eine wirkliche Bereicherung ist.

Als CD, Vinylplatte und als Download erhältlich
Tracey Thorn
Sonntag, 16. Mai 2010