Scritti Politti
White Bread Black Beer
 
Scritti Politti
White bread black beer
Rough Trade

Es ist schwer vorstellbar, aber Ende der siebziger Jahre war Punk eigentlich konservativer als Popmusik. Musste man im Punk gewissen Lebensstilen folgen und danach leben, war das Felde der Popmusik größer und bot mehr künstlerische Möglichkeiten. Für das heute einzige Mitglied der Walisischen Popband Scritti Politti Green Gartside war also die Marschrichtung auch nach dem Erfolg seiner ersten Punksingles 1977 klar. Trotz seiner Zeit in der Hausbesetzerszene von Camden und dem Leben im Underground öffnete sich mit dem Pop eine neue Welt für ihn. Tatsächlich zählte sein erstes richtiges Album 1982 “Songs to remember” und vor allem das 1985 erschienenen Synthie Popalbum “Cupid & Psyche” zu den interessantesten Popproduktionen der achtziger Jahre. Wäre Green Gartside nicht eine so ungewöhnlich komplizierte und komplexe Persönlichkeit und hätte er nicht durch sein teilweise paranoides Verhalten ganze Dekaden lang Pausen zwischen seine Veröffentlichungen eingelegt, ja, dann wäre er vielleicht einer der größten in der Popmusik geworden. Miles Davis hat seinen Song gecovert, der Philosoph Jacques Derrida, der in einigen Scritti Politti Stücken vorkommt wollte mit ihm sprechen. Doch so einfach ist es nicht. Leider, denn Green Gartside erlitt mitten auf der Bühne eine Panikattacke, die ihn nie wieder live spielen ließ. Das ist inzwischen 26 Jahre her doch an einem wie Green Gartside, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Paul Julian Strohmeyer heisst, geht auch der schwarze schwarze britische Humor nicht vorbei. Es gibt keine andere Erklärung, warum er sein Album “White bread black beer“ nennt, das vom Titel eher an eine britische Band von Hooligans erinnert als an eine aussergewöhnlich gute Popplatte. Schließlich war es ein Mix aus Alkohol und Amphetaminen, die ihn zum Zusammenbruch brachten. Als sei es gestern gewesen, denn Scritti Politti werden tatsächlich wieder live spielen. Schwer vorstellbar ist nicht nur diese Tatsache als solche, sondern auch, wie diese Platte live funktionieren soll. Die Songs sind zwar alle eingängig, doch in sich so versponnen, kompliziert und verspielt, dass sie nicht gerade nach einem Livekonzert schreien. Schon der erste Song auf der Platte, der auch der Singlehit werden soll, ist mit seinen Pausen, der schmalen Instrumentierung und der Versponnenheit alles andere als ein Livestück. “The Boom Boom Bap” ist allerdings nur eines von einer ganzen Hand voll originellen Popsongs. Noch immer ist diese unwirklich hohe und klare Stimme von Green Gartside Geschmacksache, um es vorsichtig auszudrücken, doch auf der anderen Seite so unglaublich faszinierend. Nicht nur weil sie von einem 51 jährigen Musiker stammt, über den man sehr erschütternde Dinge weiß und bei dem man sich fragt, wie all die tiefen Spuren des Lebens seiner Stimme so wenig anhaben konnten. Als hätte man sie ausgelagert und konserviert. In vierzehn neuen Songs können wir ihm durch sein Seelenleben folgen. Ein Mann der sich hasst, der zwiegespalten ist und seinen Platz in der Welt nicht findet. Der so gerne mit der Musik aufhören möchte, es aber nicht schafft, jemand der Angst hat keinen Erfolg zu haben, aber noch mehr Angst davor hat, erfolgreich zu sein. “White Bread black beer” ist der Versuch einer Zusammenfassung eines komplizierten Künstlers. Wenn man all dieses Wissen um  Green Gartside allerdings weglässt und nur der Musik zuhört, kann man sich an dieser Platte berauschen. Sie ist voll mit wunderschönen Melodien, voll mit brillanten Ideen und so ungewöhnlich sauber und klar produziert. Die Mischung aus elektronischen Einflüssen, interessanten 
akustischen Gitarren, die diese beseelten Songs und Texte zum Leben erwecken. Über die Texte könnte man noch stundenlang philosophieren, so interessant und erschütternd sind sie. Es ist die Geschichte eines zutiefst verunsicherten Mannes, der wohl jetzt wieder untertauchen wird, denn die Gefahr über die Texte zu sprechen erscheint ihm mit 
Sicherheit zu groß. Man sollte ihm also nicht sagen, dass “After six” das Zeug zu einem Welthit hat, denn dann würden wir ihn wohl nie wieder sehen. Oder um es mit seinen Worten zu sagen: „ I cant find a stand to take, to or from the road to ruin, sure I‘ve got the sense to make a record of my own undoing....
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